Low-Tech-Lösung mit Potenzial
20. Mai 2019Der LVR-Archäologische Park Xanten (APX) mit dem angeschlossenen LVR-RömerMuseum ist Deutschlands größtes archäologisches Freilichtmuseum. Mit jährlich rund 600.000 Besuchern ist dies zudem die erfolgreichste Einrichtung ihrer Art in Europa. In einem Museum dieser Größenordnung kommt der Archivierung, Forschung und Restaurierung große Bedeutung zu. Im 2016 fertiggestellten Verwaltungs-Neubau beschritten die Verantwortlichen neue Wege zur adäquaten Aufbewahrung der zahlreichen historischen Fundstücke aus dem Leben der Römer. Dabei spielen Lehmputz und Wandtemperierung eine wichtige Rolle.
Um in den weitläufigen Lagerräumen ein möglichst materialschonendes Raumklima zu erzeugen, setzten Dr. Peter Kienzle, Leiter der Bauabteilung des APX, und sein Team nicht auf ein komplexes und kostspieliges High-Tech-Klimatisierungssystem. Gemeinsam mit den Technikern des Dorstener Ingenieurbüros simuPLAN entwickelten sie stattdessen eine Low-Tech-Variante zur Klimatisierung, die ganz auf das herausragende Sorptionsverhalten von Lehm setzt. Bei weit niedrigeren Kosten übertrifft diese Lösung die Effektivität deutlich komplexerer und teurerer technischer Vorrichtungen.
Luftfeuchte-Spitzen vermeiden
Den Besuch vor Ort hatte Ulrich Röhlen schon lange geplant. Einerseits, um eines der größten Lehmbau-Projekte der letzten Jahre erstmals nach Fertigstellung in Augenschein zu nehmen. In seiner Funktion als technischer Leiter bei CLAYTEC war Röhlen zudem neugierig auf mögliche neue Erkenntnisse zur Nutzbarkeit von Lehmbaustoffen im Bereich der Archivierung musealer Schätze. Derlei Verwendungen hat es immer wieder gegeben. Die Feuchte regulierende Wirkung von Lehm machten sich schon einige Museen zunutze, indem sie Räumlichkeiten zur Lagerung empfindlicher Exponate mit Lehmbaustoffen auskleideten. Beispielhaft genannt seien hier das Berliner Naturkundemuseum und das Museum zu Allerheiligen (PDF-Download) in Schaffhausen in der Schweiz.
Im Neubau werden wir von Dr. Peter Kienzle empfangen. Als Abteilungsleiter war der Bauforscher und Architekt maßgeblich an den Planungen des Archiv-Neubaus beteiligt. Der weitaus größte Teil der archivierten Zeitzeugnisse sind Scherben, Keramik oder etwa Fragmente historischer Estriche und Baumaterialien. Für deren optimale Aufbewahrung werden ein mittlerer Luftfeuchte-Wert und die Vermeidung übermäßiger Temperatur- und Luftfeuchte-Spitzen angestrebt. Diese Abfederung von Spitzen in die eine oder andere Richtung wird erreicht durch die Verwendung von Lehmputz in Kombination mit einem Wandflächentemperierungssystem. Dabei wird kaltes oder warmes Wasser durch ein in die Putzlage integriertes Rohrsystem geleitet.
Im Vorfeld des Archiv-Neubaus hatten die Experten des Dorstener Ingenieurbüros simuPLAN verschiedene Bau- und Planungsszenarien im Hinblick auf die klimatischen Effekte durchgerechnet: Die erste Variante kombinierte Betonmauern in statisch notwendiger Stärke mit einer Außendämmung gemäß den Anforderungen der Energieeinsparverordnung (ENEV). Hier führten die Rechenmodelle zu heftigen Ausreißern gemessen an den angestrebten Zielwerten. Schon weniger solcher unerwünschter Spitzen produzierte das nächste Rechenmodell. Dabei kombinierten die Techniker virtuell eine größere Menge Beton mit einer deutlich dünneren Außendämmung. Ergebnis: signifikant weniger „Ausreißer“. In einer weiteren Simulation wurde diese zweite Variante in den Sommermonaten zusätzlich mit einer aktiven Kühlung gekoppelt: Dazu wurde durch die eingebaute Wandflächenheizung kaltes Wassers geleitet. Dies führte in den Berechnungen deutlich in die Nähe der angestrebten Zielwerte.
Erfahrungen bestätigen das Rechenmodell
Die Simulation schloss mit der Empfehlung zur Verwendung eines Lehm-Innenputzes. Durch dessen hohe Sorptionsfähigkeit, so zeigten sich die Experten überzeugt, seien auch die andernfalls zu erwartenden täglichen Spitzen erfolgreich zu eliminieren. Heute stellt sich die Umsetzung dieser Empfehlung als voller Erfolg dar. Dr. Peter Kienzle sagt: „Lediglich ganz am Anfang hatten wir leichte Probleme mit einer relativ hohen gemessenen Restfeuchte in der Raumluft. Dieses hatte sich aber nach einem dreiviertel Jahr erledigt, als die immensen verbauten Massen an Lehm und Beton endgültig getrocknet waren. Seitdem bewährt sich das System bestens.“ So sei etwa nach dem Neubau des Archivs eine große Menge von Scherben aus dem alten Magazin eingelagert worden. Diese waren am alten Standort nur provisorisch unter klimatisch nicht optimierten Bedingungen gelagert gewesen. „Diese Stücke wiesen zum Teil eine erhebliche Restfeuchte auf. Unser Low-Tech-System verkraftete derlei neue Belastungen regelmäßig problemlos, es benötigt lediglich eine gewisse Zeit, bis das träge System sich selbst eingerichtet hat.“ Seine Kollegin Petra Becker, seit 24 Jahren als Restauratorin im APX tätig, bestätigt: „Der feuchte Geruch, den diese frisch ausgegrabenen Exponate mitbringen, ließ rasch spürbar nach und verschwand schließlich ganz.“
Wie ihr Kollege Kienzle zeigt sich auch die erfahrene Restauratorin hoch zufrieden mit der Entscheidung für die Low-Tech-Klimatisierungs-Variante. Sie erläutert: „Auch in der Archäologie bleibt die Entwicklung nicht stehen. Wie alle Wissenschaften muss sich auch unser Fachgebiet kritisch hinterfragen: Wie viel Ausgrabung ist überhaupt sinnvoll? Durch das zutage fördern werden schließlich auch Befunde zerstört.“ Mancher Kollege sage sogar, im Boden sei das beste Lager. Auch deshalb sei ihr der Gedanke eines „trägen“ Systems, das auf den klimatisierenden Eigenschaften des uralten Materials Lehm beruht, wesentlich näher, als energetisch aufwändige technische Lösungen.
Dazu überzeugt die lehmbasierte Klimatisierung nicht nur in ökologischer, sondern auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht: Zur Installation des Systems waren deutlich niedrigere Investitionen notwendig, es verbraucht im Betrieb weitaus weniger Energie und verursacht entsprechend geringere Kosten als maßgeschneiderte High-End-Klimatechnik. Die Low-Tech-Variante ist zudem wartungsarm. Dies führt, neben der Ersparnis bei den reinen Instandhaltungskosten, auch zu erheblichen Einsparungen im Sicherheitsbereich: Wegen der unersetzlichen, wertvollen Exponate muss jeder Techniker, der die Räumlichkeiten betritt, von einem Security-Mann begleitet werden. Und so ist das Archiv des Archäologischen Parks Xanten nicht nur in Sachen Lehmbau ein Leuchtturmprojekt, auch in der Museumstechnik setzt es neue Maßstäbe.